1. Tattoo mit 80 – oder: Was ist Neuroplastizität?

Das ist meine Mum, im Krieg geboren, als 13. von 14 Kindern. Ihr Start ins Leben war entsprechend schwer, so wie auch die nächsten Jahrzehnte geprägt waren von Schicksalsschlägen, Entbehrungen und Herausforderungen.

Hier bekommt sie ihr 1. Tattoo von Viko (https://www.bloodsisters.tattoo/). Es war das Geschenk von meinem Bruder und mir zu ihrem 80. Geburtstag! Denn wenn in der Familie schon fast alle tätowiert sind, möchte sie auch mal eines.

Unsere Mum war nicht immer cool. Oder modern.

Doch je älter sie wird, umso cooler und moderner wird sie 😉

Was das mit Neuroplastizität zu tun hat? Alles!

Unser Gehirn kann sich bis ins hohe Alter verändern und an neue Reize und Erfahrungen anpassen, Neuroplastizität steht für die Formbarkeit des Gehirns.

Als ich mit ca. 20 mein 1. Tattoo bekam, waren meine Eltern entsetzt (so wie sie schon mit meinen Piercings wenig Freude hatten). Selbst sehr konservativ und autoritär erzogen, lag ihr Fokus lange im Außen, herrschte große Sorge um fremde Erwartungen und Bewertungen.

Als jüngeres Kind und “buntes Schaf der Familie” war ich schon sehr früh im Widerstand gegen dieses enge Korsett, um nicht zu sagen, ab der Pubertät wehrte ich mich mit Händen und Füßen dagegen – erfolgreich und nachhaltig.

Doch über viele Jahre, wo ich so vieles so anders gemacht hatte als meine Herkunftsfamilie, lernte meine Mum, den Wert darin zu erkennen. In praktischen Dingen, wie nichts zu bügeln oder auf den perfekten Haushalt zu pfeifen, genauso wie in Themen wie Selbstfürsorge oder Authentizität.

Da sie sah, wie mich mein oft ungewöhnliches Tun glücklich machte und erfüllte, öffnete sie ihre Vorstellungen von dem, was richtig ist oder sich gehört, immer mehr. (Und natürlich durch zig weitere, neue Erfahrungen in ihrem familiären Umfeld und Freundes- und Bekanntenkreis.) Auch optisch wurde sie immer moderner und schicker. Trägt heute die Jacke ihrer Enkelin oder den gleichen Designerrucksack wie ihre Schwiegertochter und wechselt ihre Brillen passend zu ihren Handtaschen.

1979

Natürlich schüttelt sie auch heute manchmal noch den Kopf, wenn ich sonntags arbeite, nach Abschluss eines Seminars bereits nach dem nächsten Input suche oder für 2 Nächte mit Kind und Kegel nach Straßburg fahre, um australische Freunde zu treffen. Kocht sie gern Fleisch, muss bei mir Gemüse dabei sein. Geht sie zur Kirche, finde ich viele Antworten im Buddhismus. Hört sie Kastelruther Spatzen, muss ich den Raum verlassen.

Doch gleichzeitig gehen wir gern gemeinsam in die Oper, am besten in eine von Mozart, oder fahren gemeinsam wellnessen.
Als wir in Brisbane gelebt haben, ist sie zusammen mit meiner Schwiegermum nach Australien geflogen – die erste und einzige Fernreise ihres Lebens. Sie nutzt what’s app und schreibt e-mails. Nur homepages sind nicht so ihres 😉
Mit ihrem Lebensgefährten verreist sie regelmäßig (nötige OPs und Arzttermine müssen sich da zeitlich ein- und unterordnen), trifft regelmäßig Freunde und kümmert sich von Herzen um das Wohl anderer. Heute lacht sie über meine blöden Meldungen und Scherze und regt sich kaum noch über etwas auf. Denn: Jeder Tag ist ein Geschenk.